(Foto: Jack van Ommen) |
von Sabine Gerhardus
Jedes Jahr feiern die
Niederländer am 5. Mai den „Bevrijdingsdag“. Die Befreiung von der nationalsozialistischen
Besatzung und das Ende des Krieges haben bis heute große Bedeutung für die
Menschen. Der 5. Mai ist gesetzlicher Feiertag, überall finden Festivals und
Konzerte statt. Am Vorabend, dem 4. Mai, wird der Toten gedacht. Am zentralem
Platz, dem „Dam“, vor dem Königspalais in Amsterdam versammelten sich in diesem
Jahr so viele Menschen, dass – so sah es zumindest in der Fernsehübertragung
aus, die ich im Theater Bellevue live verfolgen konnte – keiner mehr dazwischen
gepasst hätte. Um 20 Uhr legten König Willem-Alexander und seine Frau Maxima
einen Kranz am Nationalmonument nieder. Das Königspaar begrüßte fünf
Delegationen von Veteranen, die ebenfalls einen Kranz niederlegten. Darunter
war auch der Überlebende des KZ Dachau, Jan (Skippy) de Vaal. Anschließend
stehen die Tausende auf dem Platz mehrere Minuten in stillem Gedenken. Im
Anschluss an die Kranzniederlegung wurde Skippy direkt zu uns ins Theater
Bellevue gefahren
Zu uns: das waren fast alle (ehemaligen) Schüler aus den
Niederlanden, Henriette Schulze (ehemalige Schülerin des Camerloher-Gymnasiums Freising)
und Anne Krombacher (ehemals Ignaz-Taschner-Gymnasium Dachau), die bisher am
Projekt Gedächtnisbuch beteiligt gewesen sind und jetzt auf ihren Auftritt
warten, Willemijn Petroff-van Gurp, die als Überlebende des KZ Dachau ebenfalls
am Stück beteiligt war, die Organisatoren und Produzenten Jos Sinnema, Aik
Meeuse und ihre Crew und ich. Zwischen der Generalprobe und dem Beginn der
Aufführung war noch so viel Zeit, dass wir Skippys Kranzniederlegung beobachten konnten. Pünktlich um 21.00 Uhr
beginnt im ganzen Land „Theater na de Dam“ – verschiedene Theateraufführungen nach
der zentralen Totengedenkfeier. In diesem Jahr war dank der Initiative von Jos
Sinnema und Aik Meeuse auch eine Aufführung von Schülern aus dem
Gedächtnisbuch-Projekt möglich.
Der Theatersaal war bereits auf bis auf den letzten Platz
gefüllt, die Schüler hatten mit der Aufführung begonnen, als Skippy den Saal
betrat und mit großem Applaus begrüßt wurde. Aus meinen rudimentären
Holländisch-(Un)kenntnissen und der raschen Übersetzung von Aik, der neben mir
saß, habe ich verstanden: Ja, der König
hatte ihn, Skippy, wiedererkannt – keine zwei Wochen vorher hatten sie sich ja
bereits bei der Ausstellungseröffnung im Widerstandsmuseum kennengelernt.
In einer raschen Folge sahen und hörten wir nun Eindrücke
aus den Erinnerungen an die Projektarbeit der Schüler, unterlegt mit
Filmausschnitten und einer musikalischen Darbietung. Anna Krombacher (ehemalige
Schülerin des ITG Dachau aus Sulzemoos) erzählte mir: „Es geht vor allem darum, auch unsere
Erfahrungen herauszubringen, mit unserer Arbeit an den Gedächtnisblättern und
mit unserer Arbeit mit der damaligen Zeit.
Herzstück des ganzen waren Willemijns Erinnerungen an die
Zeit ihrer Haft in den Konzentrationslagern Ravensbrück und Dachau und den Weg,
den sie – auch durch das Gedächtnisbuch – vom Schweigen und Verdrängen der
Erinnerungen hin zum Sprechen gefunden hat:
„Seitdem habe ich meine Geschichte schon öfters erzählt. Und ich kann
Ihnen sagen: es ist wie eine Befreiung. Das Leid hat sein schärfsten Kanten
verloren und die schönen Erinnerungen aus dem Lager sind in den Vordergrund
gerückt. Damit meine ich die intensive Freundschaft, die ich im Lager erleben
durfte.“ Willemijn ist diesen Schritt gegangen,
„weil ich es wichtig finde, dass die Jugend versteht, was Freiheit
bedeutet, was Meinungsfreiheit bedeutet, was die Gefahren der Diktatur sind und
was es heißt, wenn Menschen für minderwertig erklärt werden.“
Mit Anna und Henriette konnte ich noch vor der Aufführung
ein kurzes Interview führen. Ich fragte sie, was für sie das Besondere an
diesem Projekt war:
(Foto: Jack van Ommen) |
Anna sieht man ihre Begeisterung an: „Ich find‘ wahnsinnig
toll, dass wir die Chance haben bei so was mitzumachen. Ich meine, ich habe
meine Biographie für das Gedächtnisbuch 2010/2011 geschrieben. Also das sind
jetzt 5 Jahre her, und jetzt sitze ich hier in Amsterdam und hab die
Gelegenheit bei so was Tollem mitzumachen, bei dem Buch, und dann die
Theateraufführung. Ich meine, es sind ehemalige Häftlinge dabei, die wir heute
sprechen hören – hoffentlich dann auch verstehen, weil die Paula ein bisschen
übersetzen wird. Ich find das ein Wahnsinns-Projekt!“
Henriette ergänzt: „Ich finds auch schön, dass es hier
gemacht wird, nicht nur in Deutschland, dass es sich ausgeweitet hat auf andere
Länder und dass die auch daran Interesse haben, es mit Deutschen zu teilen und
die mitmachen zu lassen, obwohl es ja um Niederländer geht und wir ja nicht
niederländisch sind. Das find ich schon was besonderes, dass sie uns teilhaben
lassen.“
Wie das Theaterprojekt für die beiden ablief, haben sie in
einem Reisetagebuch für den Blog aufgeschrieben.
Vielen Dank an alle Beteiligten für diesen anrührenden
Abend!
(Foto: Jack van Ommen) |
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