Mittwoch, 29. April 2015

Henry (Heinz) Landman und der 70. Jahrestag der Befreiung von Dachau


(Der englische Originaltext findet sich im vorhergehenden Blogeintrag.)

Veronika Stumpf schrieb vor einigen Jahren die Biographie von Henry Landman für das Gedächtnisbuch. Wir danken Rick Landman sehr herzlichen für den folgenden Text, der er über die Erinnerungen seines Vaters an die Befreiung von Dachau schrieb.

Mein Vater war sehr aufgewühlt, als er die Einladung zum 70. Jahrestag der Befreiung Dachaus erhielt. Denn er war nicht nur einer der amerikanischen Soldaten bei der Befreiung, sondern er war auch als Jude nach der Kristallnacht in Dachau interniert gewesen. Im Lauf der Jahre hat er mir viel über Dachau erzählt, aber die folgende Geschichte ist die wichtigste für den 70. Jahrestag der Befreiung. Sie folgt dem, was mir mein Vater erzählt hat.


1945 bestand die Stadt Dachau im wesentlichen aus einer Hauptstraße mit einigen Seitenstraßen. Als er diese Straße erreichte, war sie voller Menschen, die schrien, aßen, plünderten, und entweder wegen ihrer neuen Freiheit aufgeregt waren oder in Sorge darüber waren, was als nächstes passieren würde. Colonol Porter teilte ihm einen Jeep zu, und als er die Straße entlang fuhr, sprang eine Frau in einem langen schwarzen Kleid in die Mitte der Straße und winkte, um die Aufmerksamkeit meines Vaters auf sich zu ziehen. Sein Jeep hielt und mein Vater sprang in seiner US-Army-Uniform heraus, er hatte sein Gewehr bei sich und fragte sie, was sie wollte. Ihr Gesicht zeigte eine Mischung aus Dringlichkeit und Angst, aber sie beruhigte sich und bedeutete ihm, ihr in ein kleines Haus mit einer Bäckerei im Erdgeschoß zu folgen. Sie wollte die Straße verlassen, um ihm zu erzählen, warum sie so außer sich war. Im Haus erklärte sie, dass sich unten jemand versteckte, der sich direkt bei einem amerikanischen Soldaten ergeben wollte. Sie sagte, sie wolle ihn aus dem Haus haben und wüsste nicht, was sie tun sollte.
Der Mann, der in ihren Laden gerannt war, trug immer noch seine SS-Uniform und fürchtete sich mehr vor den gerade befreiten KZ-Häftlingen als vor der US-Armee. Mein Vater ging eine Wendeltreppe hinunter, er sicherte mit seinem Gewehr, als er langsam hinabstieg, und da, in eine Ecke gedrückt, stand womöglich ein ehemaliger diensthabender Hauptsurmführer der SS-Offiziere des Dachauer Konzentrationslagers. Als der Nazi-Offizier meinen Vater sah, stand er auf, salutierte mit dem amerikanischen Gruß und sagte, er wolle sich einem Amerikaner ergeben, um sicher vor dem Mob der früheren KZ-Insassen zu sein. Das alles kam meinem Vater sehr bizarr vor, denn er erinnerte sich gut daran, wie es war, in Dachau eingesperrt zu sein. Auch wenn dieser Mann nicht derselbe Diensthabende war wie 1938, erschien es meinem Vater sehr seltsam, der Retter eines SS-Offiziers zu werden. Rückblickend fragte sich mein Vater, ob der Oberst vielleicht der Sohn der schreienden Frau war und ob sie ihn vielleicht dazu gebracht hat, ihren Sohn zu retten.
Mein Vater erklärte nicht, wer er war und warum er Deutsch sprach und er ließ sie im Unklaren, ob alle US-Soldaten so versiert waren wie er. Der Offizier stieg mit den Händen über dem Kopf die Treppe hinauf. Mein Vater und der andere Soldat, der den Jeep bewachte, brachten den Hauptmann auf der Kühlerhaube des Jeeps unter und sie befahlen ihm, sich an der Metalstange festzuhalten, die an der Frontstoßstange befestigt war. Dieses Metalstange war die neueste Erfindung der Amerikaner, die die Jeepfahrer davor schützen sollte, enthauptet zu werden. Denn die Deutschen spannten dünne Metalldrähte zwischen Bäumen beiderseits der Straße und warteten darauf, dass die Amerikaner in ihren offenen Jeeps hineinfuhren und ihnen die Köpfe abeschnitten wurden.
An diesem Tag musste sich mein Vater nicht mehr wegen einer Enthauptung sorgen. Zusätzlich zur vorstehenden Metallstange hatte er einen Nazi-Offizier vor sich, der jeden Draht zuerst zu spüren bekommen würde. Als mein Vater die Dachauer Hauptstraße entlang fuhr mit dem prominenten Nazi auf dem Kühler, erinnerte er sich daran, dass man ihm vor sechs Jahren, als er aus Dachau entlassen wurde, gesagt hatte, er solle so schnell wie möglich Deutschland verlassen, weil er das nächste Mal nicht mehr lebend aus dem Lager käme. Sechs Jahre später rettete er einen Mann, der für das ganze Morden verantwortlich war.
           

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