Dienstag, 11. November 2014

Erwin Schild in Dachau: eine Stimme des Friedens




Ludwig Schmidinger im Gespräch mit Erwin Schild (6.11.14, Foto Hedi Bäuml)
Anlass für diesen Beitrag gab die Gedenkveranstaltung mit Rabbi Erwin Schild zur Reichspogromnacht in Dachau am 6.11.2014 im Rathaus. Eingeladen hatten der Trägerkreis Reichpogromnacht (Evangelische Versöhnungskirche in der KZ Gedenkstätte Dachau, Dachauer Forum e.V., Katholische Seelsorge an der KZ Gedenkstätte Dachau, Kulturamt der Stadt Dachau, KZ Gedenkstätte Dachau, Verein „Zum Beispiel Dachau“).
Erwin Schild ist im Gedächtnisbuchprojekt kein Unbekannter: Ein Gedächtnisblatt über sein Leben wurde 2005 erstellt, ein Banner zu seiner Biographie gibt es in der Ausstellung „Geistliche im KZ Dachau“ und in der englischen Version der Internationalen Wanderausstellung „Namen statt Nummern“. Den nachfolgenden Text schrieb Sabine Gerhardus.


Baut Brücken statt Mauern! Mauern trennen, grenzen aus, schotten ab, und sie hindern Flüchtlinge davor, den rettenden Zufluchtsort zu erreichen. Die Erfahrung der Monate dauernden Flucht vor den Nazis, die Angst, an der Grenze wieder zurück geschickt zu werden und den Mördern endgültig ausgeliefert zu sein, hat Erwin Schild tief geprägt. Er war Student der Israelitischen Lehrerbildungsanstalt in Würzburg, ein paar Monate nur, in denen er eine enge Bindung an die jüdische Kultur erfuhr und sein Glaube an Kraft und Reichtum gewann – bevor im November 1938 ein Inferno über sein Leben hereinbrach. In den Schlafsälen wurden die jungen Studenten von Nazischergen überfallen, sie zerschlugen Fenster, zerstörten die Betten, Koffer, alle Habseligkeiten und ließen die Jungen verängstigt und verloren zurück – am nächsten Morgen fanden sie ihr Seminar besetzt, die Bücher in Flammen und die Stadt in der Hand eines brutalen Mobs. Schließlich wurden sie ins Gefängnis und dann ins KZ Dachau gebracht. Dass Erwin Schild dieses Pogrom überleben würde, schien kaum möglich.
Am 6. November 2014 erzählt Erwin Schild, inzwischen 94 Jahre alt, im Rathaus der Stadt Dachau von seinen Erinnerungen. Er berichtet von den schlimmsten Stunden seines Lebens, als er seinen Vater in Dachau traf, in einem Moment, als dieser von dem Gruppenältesten gestoßen wurde. Aber geprägt ist seine Erzählung von einer ganz anderen Kraft – von der Kraft seines Glaubens an einen Gott der Versöhnung, der keinen Unterschied macht zwischen den Menschen. Jeder Flüchtling hat das Recht Zuflucht zu finden – bei jedem von uns. Statt Mauern sollen wir Brücken bauen. Das sind keine hohlen Worte, es ist ein lebendiger, ein kraftvoller Appell: Wir dürfen nicht die Hoffnung aufgeben, dass die Menschheit doch lernen kann, sich vom Hass abzuwenden, jeder von uns kann dazu beitragen, statt Mauern Brücken bauen und helfen, einen Weg des Zusammenlebens zu finden.

Erwin und Laura Schild in Ottawa 2012
Erwin Schild ist nicht umsonst Rabbiner geworden, ein Lehrender, der sich seit Jahren schon für den jüdisch-christlichen auch den jüdisch-deutschen Dialog einsetzt. Seine Offenheit reicht weit über die christlichen und jüdischen Religionsgemeinschaften hinaus. „Keine Gruppe, keine Religion  hat eine exklusive Verbindung mit dem Herrn der Welt.“ (Aus Erwin Schilds Rede vor evangelischen Christen am Reformationstag 1988 in seiner Heimatstadt Köln: Die Welt durch mein Fenster. Einsichten und Wegweisung eines kanadischen Rabbiners deutscher Herkunft für das Leben in unserer Zeit, Köln 1996.) Auch in der Begegnung in Dachau spürt man seinen Appell, den Menschen in Liebe, Güte zu begegnen, Mitleid, Demut und Opfergeist zu zeigen, den Dialog zu suchen – eben, Brücken zu bauen.
Einen Weg in eine friedliche Welt können wir finden, wenn wir „Verantwortung für unsere Umwelt annehmen, unser Brot mit den Hungrigen teilen, ein verschmachtendes Kind als eine unerträgliche Blasphemie unseres göttlichen Ebenbildes empfinden.“ (Die Welt durch mein Fenster, Köln 1996) Erwin Schilds Appell an die Menschlichkeit hat bis heute – leider – nichts von seiner Dringlichkeit verloren. In einer Zeit, in der wir von Nachrichten über Terror, Hass und Rassismus überflutet werden, könnte man verzweifeln angesichts dessen, was Menschen einander antun.  Es tut gut, zu sehen, welche innere Ruhe und versöhnliche Kraft Erwin Schild ausstrahlt. Mit seiner Aufmerksamkeit und seinem großen Herzen verzaubert er die Zuhörer in Dachau. Möge er die Menschen noch lange erreichen und sie mit seiner Güte anstecken. Eine Stimme des Friedens, leise, aber kraftvoll genug um Hoffnung und Mut zum Handeln zu machen. Stimmen wie Deine brauchen wir sehr, lieber Erwin – ich danke Dir!

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